Inklusion ist ein Dauerbrenner unter den schulpolitischen Themen. Warum jetzt – mehrere Jahre nach der Einführung – wieder eine Diskussion um die Ressourcen und die personelle Ausstattung, wie sie die Volksinitiative Gute Inklusion nun fordert?
Die Lehrerkammer hat die Versuche der BSB zur Einführung der Inklusion von Anfang an kritisch-konstruktiv begleitet – und oft genug vorhergesagt, wo es „knirschen“ wird. Dabei hat sie in verschiedenen Stellungnahmen immer wieder Forderungen gestellt, die nun die Volksinitiative aufgreift. Sie unterstützt daher nachdrücklich die Forderungen der Initiative (s. dazu auch am Ende dieses Beitrags).
Ist Inklusion nicht nur eine Ideologie, die massive Nachteile für den Großteil der SchülerInnen bringt?
Wir müssen uns schon fragen, in welcher Art von Gesellschaft wir leben wollen. Wollen wir, dass Kinder mit Trisomie 21 abgeschottet in Heimen leben? Waren wir nicht beeindruckt von den Leistungen der Paralympics-TeilnehmerInnen? Ist es schlecht, wenn gehörlose Menschen Erfolg in einem anspruchsvollen, „normalen“ Beruf haben? Und: Schließt eine Förderung der Schwächeren grundsätzlich aus, dass die Stärkeren sich ebenfalls entfalten können?
Ist Inklusion nicht nur der Versuch bestimmter Elterngruppen, ihren Kindern besondere Privilegien zu verschaffen?
Inklusion ist der Versuch eine Gesellschaft zu fördern, in der ausnahmslos alle Menschen respektiert werden, Wertschätzung erhalten und sich entfalten können – auch solche, die ohne Förderung benachteiligt wären.
Können Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf nicht besser an Sonderschulen gefördert werden?
Inklusion ist dann gut, wenn sie funktioniert. Dies bedeutet: Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf sind dort gut aufgehoben, wo ihr individueller Bedarf gedeckt werden kann. Dazu ist an den allgemeinbildenden Schulen viel neue Fachkenntnis nötig, ebenso mehr (Fach-)Personal und inklusionsfördernde Räume. Für viele Kinder ist es wichtig, nicht auf einer besonderen Schule ausgesondert zu werden. Für andere Kinder, z. B. Hörbehinderte, ist es auch wichtig, Kontakte zu Menschen zu haben, die wie sie bspw. Gebärdensprache als Muttersprache sprechen. Die Lehrerkammer forderte deshalb von Beginn an bessere Ausstattung der Inklusion an den Regelschulen und setzt sich ein für möglichst weitgehende Inklusion von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf an diesen Regelschulen – bzw. umgekehrt die Öffnung etwa der Elbschule für Nicht-Hörgeschädigte. Für richtungsweisend hält die Lehrerkammer nach wie vor die Ressourcenzuweisungen der Integrationsklassen, wie es sie vor der Einführung des Inklusionsmodells in Hamburg schon gab.
Ist es nicht eine Illusion zu glauben, Inklusion könne jede SchülerIn zum Abitur führen?
Ziel der Inklusion ist es, allen Menschen eine möglichst umfassende Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen: Jede und jeder soll möglichst weit kommen. Nichtinklusive Beschulung hat in vielen Fällen zu geringe Teilhabe ermöglicht. Auch „SonderschülerInnen“ sollen die Möglichkeit haben, überhaupt einen Abschluss und möglichst einen höheren Abschluss als den ersten Schulabschluss zu erreichen und später erfolgreich einen möglichst anspruchsvollen Beruf zu ergreifen. Inklusion braucht dazu auch gesellschaftliche Akzeptanz: Behinderte oder „schwierige“ Menschen müssen gleichberechtigt neben „normalen“ Menschen leben können. Schön, wenn dies schon für Schulkinder selbstverständlich ist und die Frage nach „normal oder besonders“ gar keine große Rolle mehr spielt.
Wenn die Hamburger Inklusion nur ein Sparmodell ist, warum haben die Lehrergewerkschaften und -vertreterInnen sie unterstützt?
Von Beginn der Debatte an hat die Lehrerkammer immer wieder eine ausreichende Ressource für die Inklusion gefordert. Sie hat früh benannt, dass die Vorschläge der BSB von 2012 nicht genügen, und Alternativen aufgezeigt. Inklusion ist nicht automatisch billiger als Beschulung an Sonderschulen. Die Lehrerkammer hält aber daran fest, dass Inklusion in einer demokratischen Gesellschaft unabdingbar ist, denn diese ruht auf der Vorstellung, dass Menschen in wesentlichen Bereichen gleich und gleichberechtigt sind.
Die Lehrerkammer unterstützt die Inklusion. Auf vielen Sitzungen hat die Lehrerkammer über Inklusion gesprochen. Zuletzt im Dezember stellte die Lehrerkammer sie wieder einmal in den Fokus. Dazu waren die Ombudsperson Frau Zeidler und Herr Sturm vom HIBB zu Gast. Beide stellten ihre gegenwärtigen Arbeitsschwerpunkte vor. Aus all Inklusion – einfach erklärtdiesen Auseinandersetzung sind eine Reihe von Stellungnahmen entstanden – die wichtigsten Forderungen:
mehr Personal
Nach wie vor ist die Inklusion unterfinanziert. Hamburg ist weit entfernt davon, den Stand zu erreichen, der mit den I- und IR-Klassen einmal „state of the art“ war – auch außerhalb der Hansestadt. Dazu konkrete Berechnungen in unserer Stellungnahme zur Inklusion vom 23.02.12 LKSt_120223_Inklusion (S. 4ff) und erneut am 07.11.14 LKSt_141106_SOS_Inklusion.
inklusionsfördernde Räume
Inklusion braucht passende Räume – erst recht im Ganztagsbetrieb. In der Auseinandersetzung mit der Einführung der Inklusion und mit dem Schulentwicklungsplan von 2012 und dem ihm zugrunde liegenden Musterflächenprogramm haben wir auf die Notwendigkeit hingewiesen, den schulischen Raumbedarf inklusionsgerecht zu planen: dazu unsere Stellungnahmen zur Inklusion LKSt_120223_Inklusion (4.11 auf S. 14) und zum Schulentwicklungsplan von 2012 LKSt_120126_SEPL(S. 2f).
Dr. E. Prolingheuer, Vorsitzender der Lehrerkammer